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Channel: Kommentare zu: Ein Virus, erträumt von Waldemar Kobus
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Von: Martin

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Hallo Waldemar!

Vielen Dank für die fixe und ausführliche Antwort. Die Rücksprache mit Polizisten in der Bekanntschaft ist lobhaft, akzeptiert. Auch dass man bei „misshandelten Menschen“ immer zum einfachsten Beispiel greift (Frau von Mann misshandelt, auf einem dem Westeuropäer noch immer unheimlichen Kontinent), geschenkt.

Doch dass der Gedanke nicht entsprang, dass Zwangs-Schlaf einem Entzug von Lebenszeit nahekommt, macht mich stutzig. Mit 14 gab ich einem Freund Nachhilfe. Er hatte eine angeborene Einschränkung in der Kommunikation seiner beiden Hirnhälften (aka „geistige Behinderung“). Bei Reizüberflutung oder schwierigen Aufgaben konnte er so nicht das vor ihm liegende verwerten und reagieren. Dies endete oft in unkontrollierten Wutausbrüchen.

Ein solcher Mensch – und ich gehe davon aus dass es viele davon gibt – könnte unter Einfluss eines solchen Virus nur schwer an der Kontrolle seiner Aggression arbeiten. Denn Therapie hat immer etwas mit dem „in die Situation hineinbegeben und verstehen“ zu tun. In unserer normalen Welt hatte er die Chance daran zu arbeiten, diese Energie zu kanalisieren – quasi wie der Hulk in den Marvel Comics – und trotz seiner angeborenen Einschränkung ein normales Leben zu führen.

Auch ich stand gerade eben vor meinem Drucker, der mir jeden Ausdruck mit einem Absturz auf halbem Weg quittierte. Enttäuschung führte zu Frustration, die kanalisiert auf diesen Drucker auch eine gewisse Wut mit sich brachte. Der Drucker fing sich zwischenzeitlich einen Tritt ein, die Wut war raus, normale Methoden wie Stecker raus & rein brachten schließlich Erfolg. Doch unter Einfluss des Virus hätte ich zunächst mal eine Runde geschlafen, wäre aufgewacht, hätte weiterhin vor dem selben Problem gestanden, aber Stunden verloren (und meinen Papierhaufen für das Finanzamt heute sicher nicht mehr angetastet).

Und auch der Mann der seine Frau schlagen will, verfällt in einen Schlaf und wacht später auf. Der Grund für die Aggression wird noch immer in ihm wohnen. Solche Dinge gehen nicht einfach weg. Natürlich wäre er gehemmt es wieder zu versuchen, die Frau wäre sicher. Und das ist gut so, ich möchte keineswegs die feigen Typen in Schutz nehmen, deren einzige Argumentationsform die Faust ist. Doch es ist wie nach einem Streit mit der Ehefrau ärgerlich schlafen zu gehen – am nächsten Tag sind die Gründe des Streits noch immer da und die Zeit zur Reflexion nimmt sich der Körper nicht im Schlaf, sondern in der Zeit davor, wenn man vor Ärger oder Sorge nicht einschlafen kann…

Doch denken wir weiter – was kann ein Mensch tun, wenn er die Wut im Bauch hat, doch keine Möglichkeit sie rauszulassen? Dann landen wir bei der IS und den selbsternannten „Gotteskriegern“ – und zwar den kühlen, berechnenden, die ohne Wut und mit eiskalter Berechnung eine Bombe bauen, sie einem jungen Menschen umschnallen und ihn ins Kino schicken.

Im Science Fiction wurde auch immer wieder die Methode des Schlafes als „platzsparendes Gefängnis“ angedacht. Z.B. in Demolition Man das Cryogefängnis. In diesem Fall wurde den Menschen zwar keine Lebenszeit genommen, doch wurden sie unmittelbar in eine Gesellschaft verpflanzt ohne Freunde, Familie, Bekannte, ohne Kenntnis alltäglicher Abläufe (jeder erinnert sich an die „drei Muscheln“) – aus dem Leben gerissen. Doch auch hier wieder mit der Änderung der Hirnströme zur Verhaltensanpassung, da der Schlaf allein nicht heilt.

Zudem geht das Gedankenspiel davon aus, dass wir in einer „lebenswerten Welt“ leben. Mit der Aggrolepsie hebelt man allen voran unser Grundgesetz aus: Artikel 20 Absatz 4 gesteht uns das Recht zu „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“. Aggrolepsie würde die perfekte Waffe für die Diktatoren dieser Welt, die sich mit Wirtschaftseinfluss in Machtpositionen gehievt haben und nun fröhlich vor sich hingerieben, während die unzufriedenen Menschen im Land beim kleinsten Gedanken an Rebellion sich schlafen legen.

Die Volkssouveränität wäre dahin, wir alle Sklaven unserer lächelnden Zustimmung, denn anders verschlafen wir unser Leben und ändern nichts. So ist der Gedanke der Aggrolepsie wie in meinem ersten Kommentar geschrieben ein schöner. Doch je länger ich mit dem Gedanken spiele, umso mehr entwickelt er sich zu einem Horrorszenario.

Schalte ich die Nachrichten an, wünsche ich mir oft, die Menschen würden miteinander sprechen und sich auf die Nöte und Wünsche des jeweils anderen einlassen.

Gruß
Martin


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